ERA: Ich bin noch nicht langer hier, aber eines steht jetzt schon fest: die Kaschemme, in die man mich zu diesem Gespräch einlud, wirkt sehr abenteuerlich. Vor dem Tresen und um die Tische haben sich die wildesten Gestalten versammelt, und alle scheinen sie etwas zu planen. Wenn ich meinen Blick durch die Runde schweifen lasse, sehe ich unzählige ausgebreitete Karten, fein säuberlich mit Markierungen versehen. Wildschweingesichtige Wesen in schweren Plattenrüstungen hauchen feingliedrigen Elfendamen, deren Hände niemals die Griffe ihrer Säbel verlassen, Unverständliches in die gespitzten Ohren. Durch den Gastraum zieht der schwere Duft von Honigmet, starkem, malzigen Bier und brutzelndem Wildbret. Aus den dunklen Ecken schimmern Sigillen, die Magiekundige mit ihren Fingern in die Luft weben, um der ratternden, Rauchschwaden spuckenden Technomantie, welche zylindertragende Ingenieurshexer vor sich über die Tische tanzen lassen, um Nichts nachzustehen. Es ist ein farbenprächtiger Ort, an dem man aber die Gefahr und den anstehenden Aufbruch an allen Ecken und Enden wahrnehmen kann. Es ist der Anfang jedweden Abenteuers, das sich die Herzen der Rollenspieler nur erträumen können. Und so heißt dieses Wirtshaus auch dementsprechend: „Der Ursprung aller Welten“
Ich muss zugeben, dass ich diesen Ort alleine niemals gefunden hätte. (Okay, der NightTrain, der mich ja hier abgesetzt hat, wahrscheinlich schon, aber das zählt nicht. Denn ein Ort, den der NightTrain nicht finden würde, existiert einfach nicht.) Eingeladen wurde ich hierher aber von einem Triumvirat, das sich – ganz im Gegensatz zu mir – in Lokalitäten wie dieser auf ureigensten Boden bewegt. Mehr als das: sie sind hier die wahren Götter. Die Weltenerbauer, denen alle Kreaturen, alle Orte, jedes Ding – und sei es auch noch so klein und unscheinbar – auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind. Kein Weg durch diese Länder führt an ihnen vorbei. Sie sind die ersten der Spielleiter. Sie sind die Spielschöpfer. Sie sind in diesen Gefilden das Alpha und das Omega.
Ich darf in der heutigen Runde Dominik Pielarski begrüßen. Dominik ist Erfinder und Vertreiber des Fantasy-Rollenspielsystems Malmsturm. Zu ihm gesellt sich Georg Pils, der das Rollenspiel-System Finsterland aus der Wiege gehoben hat, welches sich selbst als eine Welt der Magie und des Fortschritt versteht. Und außerdem hat unser aller hochverehrter Maschinist Tobias Reckermann, passionierter und hocherfahrener Rollenspielleiter und Landschaftsbauer in vielen unterschiedlichen Spiel-Systemen, an unserem Tisch Platz genommen.
Dann wollen wir keine Zeit mehr verlieren und uns aufs angerichtete Buffet stürzen. Zuallererst muss ich gestehen, dass sich meine eigenen Rollenspiel-Erfahrungen auf jugendliche Ausflüge in „Das Schwarze Auge“, „Dungeons & Dragons“ und „Hero-Quest“ beschränken. Abgesehen einmal von dem einen oder anderen PC-RPG, um die es aber hier und heute nicht gehen soll. Was mich daran schon damals stundenlang fesseln konnte, waren all die vielschichtigen und umfangreichen Regel- und Welten-Ausstattungsbücher, in denen jedes – auch noch so kleine – Detail beschrieben stand. Eine wahre Fundgrube für angehende Fantasy-Autoren. Nun habe ich heute das große Glück, mit den Leuten am Tisch sitzen zu dürfen, die genau solche Bücher erdacht und verfasst haben. Darum gleich zu meiner Eingangsfrage: wie macht man so etwas. Wo beginnt man damit, eine ganze Welt zu erschaffen, bei der schon von Anfang an klar ist, dass sie – im Gegenteil zum Weltenbau von Büchern – bis in jede Nische besucht und erforscht werden wird. Und bei der daher die Dringlichkeit besteht, alles konsistent miteinander zu verbinden und nachvollziehbar zu reglementieren?
DP: Zuerst einmal vielen Dank für die Einladung zu diesem Gespräch und vorausschicken möchte ich bemerken dass ich nicht der Erfinder bin sondern höchstens einer der Spinner hinter Malmsturm. Während Malmsturm selbst im Uhrwerk Verlag vertrieben wird.
Wo fängt man an? Am Anfang.
Nahezu jeder Rollenspieler ist beseelt von dem Wunsch sein eigenes Regelsystem oder seine eigene Spielwelt zu kreieren. Dieser Wunsch scheitert nicht selten an vielen Dingen angefangen von Zeit, Durchhaltevermögen und vielleicht auch das ein oder andere Quäntchen Handwerkskunst oder Talent. Weltenbau ist nicht gleich Weltenbau. Die zu definierenden Dinge liegen in der Wahl des Mediums geschuldet. In einem Roman kann ich aus der Sicht der Bewohner erzählen, mit ihren Vorlieben und Gedanken und nebenbei Weltenbau betreiben. Dem Leser eine glaubhafte Interessante Welt zur Kurzweil zu vermitteln ist etwas anderes, als in einem Rollenspiel dem Spieltisch eben diese Welt zwar auch glaubhaft, vor allem aber nutzbar zu präsentieren. Hier finden Dinge Verwendung die in einer Erzählung eher deplatziert wären zur Staffage der Rolle aber unabdingbar.
Rollenspiele respektive die Teile zum Hintergrund sind also eher als Lexikon zu verstehen. Im besten Fall ein spannendes.
Comic und Serien hingegen funktionieren nach dem immersiven Prinzip: show, don´t tell.
Daher wohl die Dringlichkeit.
GP: Auch ich danke für die Einladung. Ich hoffe, dass das interessant und unterhaltsam wird.
Zum Anfangen: Sagen wir’s mal so. Keine länger gespielte Rollenspielrunde bleibt beim ursprünglichen Setting. Irgendwelche Ergänzungen, Abwandlungen und Missverständnisse gibt es immer. Daraus wuchert dann eine ganze Sammlung an Konventionen und Hausregeln, die für Neueinsteiger oft befremdlich sind. Manchmal bekommen diese Dinge dann ein Eigenleben und es gibt dann ein neues Regelsystem. Dieses organische Wachstum ist auch der Grund, warum viel davon nicht veröffentlicht wird: Es ist wie eine drollige Anekdote. Man muss dabei gewesen sein.
Bei Finsterland war das gewissermaßen eine bewusste Konstruktion am Reißbrett, aber wir hatten davor schon mehrere „ungeplantere“ Runden, die dem ganzen erst Form und Intention gegeben haben.
Zum Weltenbau: Der Vergleich mit dem Lexikon ist stichhaltig. Das macht viele dieser Hintergrundwelten auch zäh zu lesen. Ich habe auch schon einen Versuch mit einer Wiki gemacht, weiß aber nicht, ob das jemand nutzt. Insgesamt würde ich sagen, dass man die Balance zwischen einem engen Korsett (bis zum Kataster) und einer „luftigen“ Vorgabe finden muss. Zuviel ist langweilig und eng, zu wenig hinterlässt die unerfahrenen Spielleiter in der Hilflosigkeit, weil die ganze Arbeit an ihnen hängenbleibt.
Vielleicht kann man es so sagen: Im Idealfall hat man einen Baukasten der für diese Welt üblichen Konzepte und dann ein paar Blitzlichter auf das, was wirklich gut ist.
Ich habe auch vernünftige Erfahrungen mit prozeduraler Generierung gemacht, also Zufallstabellen, die die Welt quasi laufend neu erschaffen.
TR: Hallo Runde, hallo Erik. Ich muss dich übrigens darauf hinweisen, dass dieses Trollmädchen dort drüben seine Hauer auf dich ausgerichtet hat. Was das bedeutet, kannst du selbst herausfinden, entweder mit einem Kulturen-Roll oder, in dem du einfach hingehst und sie ansprichst (für letzteres solltest du einen Mut-Check ablegen – wenn du vorher kräftig Met oder Bier trinkst, erleichtere ich den Roll um 1 Punkt pro Humpen). Ein Check auf die Umgebung könnte eventuell auch helfen, falls da noch jemand anderes Interesse an dem Trollmädchen (oder dir) hegt und vor den Technomanten lohnt es sich vielleicht etwas auf der Hut zu sein. Nicht dass du am Ende im Hamsterrad landest, wie der große Barbar, der vorher hier gesessen hat…
So, nun zu deiner Frage: Meine ersten eigenen Rollenspielwelten waren natürlich sehr an Vorbildern orientiert: Das Schwarze Auge (als DSA bezeichnet – Anmerkung Red.), in meinem Fall zuerst, dann Dungeons & Dragons (als D&D bezeichnet – Anmerkung Red.). Damit kommt bereits ein bestimmtes Figurensetting zusammen und die Questen richten sich praktisch automatisch in Richtung Hack & Slay aus. Dann habe ich versucht, Episoden an Literatur- und Filmvorlagen zu orientieren. Man kann zum Beispiel versuchen, Beowulf nachzuspielen, eine Sequenz aus Conan the Barbarian oder eine Folge von Doctor Who, vielleicht auch den Kleinen Hobbit. Dabei fällt allerdings schnell auf, dass solche Abenteuer monomythisch aufgebaut sind und einen einzelnen Helden im Vordergrund des Plots haben. Rollenspiel hingegen funktioniert viel mehr als Gruppe von Spielern, in der es den „Einen Helden“ so nicht gibt. Wie die Abenteuer dementsprechend anzupassen sind, ist eine Herausforderung an jeden Spielleiter. Deine Charakterspieler möchten nicht hinten anstehen, während einer den ganzen Plot bekommt. Aus vielen Vorlagen, die ich in einer Kette von Episoden verbunden habe, ist irgendwann wie von selbst Komplexität entstanden. Rückbezüge auf ältere Abenteuer, das Wiederauftauchen schon bekannter Figuren … schon ist man vom Episodischen hin zum Epischen einen Schritt vorwärts gegangen, die Questen werden weltumfassender, sozusagen relevanter für den großen Weltzusammenhang. Je enger Episoden miteinander verknüpft sind, desto genauer muss auch auf Kontinuität geachtet werden, also auf die Freiheit von Widersprüchen und – vor allem! – auf die Anschließbarkeit. Wie eine Serie soll auch ein Rollenspiel Anschlussfähigkeit erzeugen, damit es so schnell nicht aufhören muss (natürlich gilt das nicht in Fällen ganz für sich abgeschlossener Plotlines oder One-Shot-Spielabende).
Um schließlich von vorneherein Widersprüchen zu entgehen und auch, um wirklich eigene Ideen umzusetzen, bin ich dann auf ganz selbstentworfene Welten umgestiegen. Hier können immer noch viele Elemente, bis hin zu Sequenzen, aus Vorlagen verarbeitet werden, aber man hat praktisch alles selbst in der Hand. Folgende Frage schließt sich sofort an: Will man eine Welt in erster Linie für Spieler (eine große Spielwiese) oder eine Welt für einen Plot? Zieht man die freie Entwicklung der Charaktere dem Plot vor oder umgekehrt? Gibt es von vorneherein eine Handlung oder lässt man die Spieler nach einer Handlung suchen, bzw. sie eine Handlung entwickeln? Ich ziehe das narrative Spiel klar vor, dementsprechend schränkt sich die Bewegungsfreiheit in meinen Welten im Prinzip schon ein, aber trotzdem soll kein Spieler auf leere Räume (d.i. Leerräume) stoßen müssen und man sollte auch darauf vorbereitet sein, dass Spieler – sagen wir, wenn man als Spielleiter drei mögliche oder wahrscheinliche Wege ausgebaut und vorbereitet hat – eben den vierten Weg einschlagen. Für all so etwas hat man irgendwann ein Arsenal von Werkzeugen und Feuerwerk zur Hand, vor allem Spontaneität im Figurenspiel und Weltsicherheit kommen dem Spielleiter zu Gute, Regelfestigkeit auch, und dann kommt etwas für mich ganz Großes hinzu: man ist als Spielleiter nicht alleine, die Spieler gestalten die Welt und den Plot immer mit und es entstehen im Spiel oft ganz erstaunliche Emergenzen, Dinge, die man nicht hat planen können und die oft wirklich besser sind als alles, was man planen konnte.
GP: Aus eigener Erfahrung: Das wichtigste Wort, das ein Spielleiter sagen kann, ist „Ja!“.
TR: JA!
DP: Oder: Ja! Aber…
TR: Oder wie bei Polaris: ja, aber nur wenn auch.
ERA: Ich sehe, man versteht sich in der Runde. Dann gleich einmal ans Eingemachte: darf man die Inspiration zu Eurem Weltenbau verstehen? Kramt Ihr Euch da alles zusammen, was gerade da ist und schaut, was zueinander passt? Was sind dann die ersten Regeln, die entsprechend entstehen müssen? Also was ist der erste Streich, um ein junges Rollenspiel entstehen zu lassen?
GP: Man muss zwischen den Spielregeln und der Spielwelt unterscheiden. Beide sollten aufeinander abgestimmt sein, können aber auch unabhängig voneinander existieren. Bei Spielregeln wäre das ein Universalsystem wie GURPS oder FATE, bei Spielwelten gibt es auch einfach „Setting-Bibeln“, die man mit jedem System bespielen kann.
Bei den Spielregeln beginne ich normalerweise mit der Task Resolution, also der Mechanik, die entscheidet, ob eine Aufgabe gelöst wird. (Das, mit dem man Proben macht.)
Dann folgen die Charaktergenerierung, mit den verschiedenen Fähigkeiten und Parametern, und dann der ganze Rest, wie Individualisierung und Gegner.
Das ist alles sehr organisch und es gibt wenig wirklich neue Ideen, die alles völlig anders machen.
Man kann sozusagen in drei Richtungen gehen: Narrative (also erzählende), simulationistische und spielerische (wie bei einem Brett- oder Kartenspiel) Struktur. Jede Spielergruppe hat da eigene Vorstellungen, was am besten passt und wählt auch danach die Systeme aus.
Ich bin mittlerweile eher auf der spielerischen Linie, mit ein bisschen Narrativem.
Bei der Spielwelt ist es so, dass ich mich normalerweise entweder an einer historischen Periode oder einem literarischen Werk orientiere. Filme und Serien sind da irgendwie ungeeignet, keine Ahnung, warum. Star Wars kann ich irgendwie nicht, den Simplicissimus schon. Weiß nicht.
Wenn ich mal die Richtung habe, sammle ich alle Ideen, die das Setting interessant und knackig machen. Das, was die Sache „verkauft“. Ich überlege mir Geschichten, die da drin stattfinden können und Figuren, die die Welt bevölkern.
Wenn ich das beisammen habe, kommt die Geschichte der Welt und dann später die Geographie, meistens anhand einer intuitiv gezeichneten Karte. Einfach mal loskrakeln, irgendwas wird schon rauskommen.
Ich orientiere mich gerne an echten Kulturen, weil das einfach viel ausgefallener ist als alles, was ich mir selbst einfallen lassen könnte.
DP: Ich bin beruflich bedingt ein stark konzeptionell arbeitender Mensch. Das bedeutet dass ich dadurch meinen Zielkorridor sehr genau definieren kann. Konzepte lassen einen sehr genau Ideen und geschaffenes überprüfen oder auch bewusst davon abweichen. Das ist ein qualitativ hochwertiges Handwerkszeug, denn im äußerst seltenen Fall ist die erste oder zweite Idee eine gute. Wenn man nicht gerade den Geistesblitz oder kreativen Ausbruch hat, kann man sich so eben sehr gut entlang arbeiten. Dabei ist es hilfreich vorher bestimmte Gestaltungs-Paradigmen festzulegen.
Im Falle von Malmsturm sind diese sehr genau festgelegt, was zu anstrengenden Regel und Weltenbau Diskussionen führt, die sich am Ende aber auszahlen. Wir haben unzählige Male halbgares Zeug oder Ideen, die zwar toll sind, aber sich im Falle von Malmsturm dann angeklebt anfühlten, verworfen. Das hat viel mit dem Anspruch des Teams zu tun, aber auch viel mit Herzblut und sich in etwas reinzuknien. Am Ende des Tages muss jeder selbst entscheiden wie viel Aufwand oder Anstrengung er investieren will.
Malmsturm fußt auf 2 grundlegenden Einflüssen, und neue Details der Welt müssen dem standhalten. Zum einen die Genrekonvention Sword & Sorcery. Es reicht nicht, Conan zu kennen. Um ein S&S Spiel zu machen, das sich auch so anfühlt, muss ich wissen, welche kleinen Glocken ich zum Klingen bringen muss, um etwas Größeres zu schaffen oder es eben konterkarieren.
Metal und seine Metaphysik sowohl musikalisch/mathematisch als auch in der gelebten Art und Weise sind Teil dieser Subkultur. Wir ziehen Inspiration aus Attitude, Philosophie, Texten, Optik und vielen anderen Aspekten des Heavy Metal, um das in unsere fiktive Hintergrundwelt einfließen zu lassen.
Das sind zwei starke Fundamente die abwegige Ideen verhindern oder auch erst recht begünstigen. Beides ist aber bewusst und führt zu organischem Design. Das gilt für Weltenbau und Regeldesign gleichermaßen. Regeln sind immer eine Fokussierung der zugrunde liegenden Narration der Welt, zumindest aus meiner Perspektive.
Natürlich kannst du mit D&D viele Geschichten erzählen, aber das Ding ist als taktisches RPG mit Figuren halt viel, viel geiler. Ich zieh ja auch nicht mit dem Fiat 500 um wenn ich einen 7,5-Tonner nutzen kann.
Malmsturm fußt auf Fate. (generisches, universales Rollenspielsystem – Anmerkung Redaktion) Wir haben also nicht von Null angefangen dafür haben wir aber einen langen Verständnis Prozess hinter uns was Fate will, was es gut kann und was es nicht so gut kann.
Was ist also der erste Streich für ein junges Rollenspiel? Such dir starke belastbare Elemente das gilt für Regeln und Weltenbau gleichermaßen. Wenn du keine Regeln schreiben kannst oder willst, such dir ein System, dessen Regeln deine Welt oder ihre Konvention trägt. (siehe Mutant Year Zero. Jede Regel dreht sich um die Frage: zu welchem Preis. Eine Frage die in einem postapokalyptischen Setting maßgebend ist.) Versuche nicht, zu viel Kram reinzupacken in deine Welt. Mut zur Lücke ist ein guter Ratgeber. So eine Welt ist wie eine Eistüte. Sahne und Kirsche rutschen schon mal runter.
GP: Mut zur Lücke kann ich unterschreiben. Im Endeffekt scheinen die Spieler ohnehin mehr an Regeln für coole Fähigkeiten und interessante Gegner interessiert zu sein, als an Setting-Informationen. Wobei ich dazusagen muss, dass bei Finsterland ja auch noch die Besonderheit ist, dass es uns nur im deutschsprachigen Raum gibt und da ist DSA (Das Schwarze Auge) der Über-Platzhirsch und das Alpha und Omega an dem alles gemessen wird. Und da ist halt alles definiert. Allein schon das nicht zu machen, ist ein Alleinstellungsmerkmal. Leere Flecken auf der Karte sind für manche Spieler schon ziemlich arg.
DP: Das Interesse von Spielern an coolen Fähigkeiten, wie du es beschreibst, sehe ich nicht so. Es gibt solche und solche. Narrative orientierte und gamistisch orientierte Spieler. Beides valide, ich selber zähle mich zu den narrative orientierten und bin eigentlich nur noch an Hintergrundwelten interessiert. Es passiert selten, dass mich Regeln umboxen. Ich hab mein bevorzugten Spielstil mit Regeln abgedeckt (Fate). Möchte ich davon abweichen, nehme ich eines von zahlreichen Systemen. (Whitehack, Sword&Wizardry für OSR oder etwas anders Passendes, je nachdem)
GP: Ich spreche da jetzt eigentlich nur von den beobachteten Verkaufszahlen und Downloads, sowie dem, was bei den Messen oder per Nachricht an mich herangetragen wird. Es könnte natürlich auch sein, dass ich einfach kein besonders guter Setting-Beschreiber bin, aber das sind meine Beobachtungen.
ERA: Was war euch bei den Welten und Völkern in Malmsturm und Finsterland ein besonderes Anliegen?
GP: Ich wollte bei Finsterland die besten Ideen, die bisher größtenteils brachgelegen sind, mitnehmen. Viel Steampunk ist total auf das viktorianische England fixiert. (und bei Rollenspielen gab es damals nur Castle Falkenstein) Da war viel anderes da (Maupassant, Hoffmann, Goethe, Meyrink, Kafka, Dumas, Zola, Capek), das nur darauf gewartet hat, übernommen zu werden.
Und ich habe davor Full Metal Alchemist gesehen. Von weit weg sieht man sich selbst einfach besser.
Eigenartigerweise ist auch das Punk-Element der sozialen Revolte, des Selbermachens und des kreativen Chaos irgendwie unter die Räder gekommen. Zylinder mit Zahnrädern, gerne, Reformkleider, Arbeiteraufstände und Anarchismus, puh äh.
Da hab‘ ich mir gedacht: Probieren wir es.
DP: Das Fate-System zeichnet sich unter anderem durch seine Verwendung sogenannter Aspekte aus. Dies sind möglichst lebendige und inspirierende Kurzbeschreibungen von Charakteren, Schauplätzen, Waffen, Werkzeugen oder anderen Dingen, denen eine wichtige Rolle in der zu erzählenden Geschichte zukommt. Aspekte weisen dabei meist nicht nur positive oder negative Eigenschaften auf, sondern zeichnen sich durch möglichst vieldeutige und zweischneidige Interpretationsmöglichkeiten aus, über die sie im Verlauf eines Rollenspiels erheblichen Einfluss auf Richtung und Inhalt der Handlung nehmen können. Eben dieses erzählerische Element der Regeln ist auch ein Teil der Spielwelt von Malmsturm sein: so entsteht eine Welt mit einer „dramatischen“ Realität, genauer gesagt: eine vom „Sword & Sorcery“ Genre der Fantasy inspirierte Welt, in der Geschichten und ihre Charaktere, Gefühle und Gedanken, Wille und Vorstellung, die Wirklichkeit so unmittelbar beeinflussen, dass die Menschen in ihr zu Recht erwarten, dunkle Wolken und Gewitterstürme über einem Schlachtfeld zu sehen. Ebenso wie sie wissen, dass der Zorn eines barbarischen Kriegers Schilde und Schwerter zerschmettern kann, und dass selbst die Geister der Erde zu Sklaven von Lust und Leidenschaft werden können!
So ist jeder Winkel der Spielwelt von Malmsturm buchstäblich durch seine Geschichte und die in und über ihn erzählten Geschichten geformt, das heißt, die Welt ist wie ein enormes Blatt Papier, das vom Willen und der Phantasie der Menschen beschrieben wurde und wird: Ein uraltes Imperium, das wie der Fiebertraum eines expressionistischen Filmemachers erscheint. Ein halbvergessenes und vom Glauben beherrschtes Grenzland, in dem selbst die grausamsten Grimmschen Geschichten wahr werden. Und barbarische Länder wie die blutige Bühne einer arktischen Heavy Metal Oper…
Malmsturm ist eine riesige, düstere, uralte Welt – aber sie lebt, sie erinnert sich und sie fühlt!
Dies ist eine beseelte Welt, in der die Himmel die Stimmungen und Bedeutung der Ereignisse auf Erden reflektieren und selbst die Geister der Erde vor der Schönheit einer Hexe zu hilflos heulenden Sklaven ihrer eigenen körperlosen Lust werden.
Geheimnisvolle Kräfte erfüllen diese Welt, in der die Barbaren aus den Ödlanden des Nordens, den endlosen Eiswüsten und Tundren rund um das Nebelmeer, Waffen aus den Gebeinen legendärer Monster und Krieger tragen und sich an Feuern aus brennendem Eis wärmen. Eine Welt, in der wundersame und furchtbare Drogen auf Schlachtfeldern und Gräbern gedeihen, aber auch aus uralten Münzen oder Büchern gewonnen werden können, wenn diese nur durch die rechten Hände gegangen sind. Eine Welt, in der sogar die Hölle ein von Menschenhand erschaffenes Land ist!
Es ist auch eine alte Welt, in der buchstäblich gewaltige Geheimnisse verborgen liegen und deren mächtigste Zeitalter sogar in den Legenden nur noch Gerüchte sind. Selbst die Sterne sind alt: nur ein Mond strahlt noch in der Nacht, umgeben von den Mumien toter Planeten. Auch die ältesten Städte ruhen auf ungezählten Ruinen noch älterer Metropolen. Auch in der tiefsten Wildnis standen einst Paläste und bizarre Machinen, wo heute Urwälder wuchern.
Eine dramatische Welt, in der Wille und Leben die Schlüssel zur Macht sind, weil alles in ihr von Empfindungen und Erwartungen erfüllt und bestimmt wird: Auch wenn Rüstung und Waffen aus Stahl und Eisen gemeinhin besser sind als Stöcke und Steine, so kann doch das nackte Fleisch willensstarker Krieger den Schwerthieb irgendeines Strauchdiebs als bloßen Kratzer enden lassen, und manchmal wird die Wahl der besten Rüstung nicht auf ein Stück Blech, sondern auf das Fell oder den Panzer eines besonders mächtigen Raubtiers fallen! Ebenso mag ein rasender Barbar in der Lage sein, geringere Gegner wahrhaft mit bloßen Händen zu zerreißen, doch gegen einen ebenbürtigen Feind wird er nach seiner in Blut geformten Runenaxt greifen – die womöglich nicht aus Metall sondern aus den Knochen einer großen Bestie geschaffen wurde.
Damit ist Malmsturm aber vor allem eines: eine heroische Welt, eine Welt, in der jeder Ort, jedes Objekt und jedes Wesen das Resultat seiner Geschichte und seiner Geschichten ist. Was war, was erzählt und was geglaubt, erhofft und erwartet wird: das formt die Wirklichkeit von Malmsturm. Welche Zukunft diese Welt haben wird, in der viele glauben, dass längst alle Geschichten erzählt und alle Träume geträumt wurden, liegt daher nur in der Macht derer, die bereit sind, ihre eigenen, neuen Geschichten wahr werden zu lassen: den Helden, die aus dem Schatten der Jahrtausende treten, und den Spielern, deren Phantasie sie lebendig werden lässt…
GP: Was mich beim Weltenentwerfen doch manchmal irritiert, ist, wie wenig fantastisch gerade Fantasy sein kann. Was ich damit meine: theoretisch gäbe es gerade im Rollenspiel kaum Grenzen, schlicht weil man nicht auf die physische oder optische Umsetzbarkeit achten muss. Und doch dreht sich alles eigentlich nur um sehr „klassische“ Elemente.
Mir ist klar, dass das eine kommerzielle Entscheidung ist, weil die Kundschaft halt das kauft, was sie auch sofort wiedererkennt, aber es ist doch ein wenig schade. Da gibt es zum Beispiel im Comic ganz unglaubliche Dinge, die seit fünfzig Jahren herumkugeln (Giraud, Jodorowsky, um mal ein paar uralte Dinge zu nennen), aber irgendwie kommt das nicht an.
Wenn man vom ganz intensiven Indie-Bereich weggeht, hat man doch den Eindruck, dass sich alles noch im Tolkien/Leiber/Lovecraft/Howard-Bereich tummelt. Es ist, als gäbe es eine Grenze bei den 1940ern.
Im deutschen Sprachraum ist der Effekt übrigens noch bizarrer. Da gibt es mit DSA eigentlich nur ein Ding, und das ist ein fast schon historisches Unding, das sich mit ein bisschen Karl May schmückt. Eigen.
Dabei gibt es so viel Zeug, das man verwursten könnte. Es ist nur nach dem Zweiten Weltkrieg keine sinnvoll-originäre deutschsprachige Fantasy mehr nachgekommen, die nicht Satire oder Kinderbuch war.
DP: Engel? Degenesis? Opus Anima? Ratten? Ich finde im deutschsprachigen Raum gibt es sehr wohl extrem Kreatives und Gehaltvolles. Zugegeben das ist alles keine EDO Fantasy (Elves, Dwarves, Orks-Fantasy – Anmerkung der Redaktion) aber die ist ja auch in sich etwas gefangen. Um auszubrechen brauchst du ein Crossover oder eben ein starkes maßgebendes Element. Es gibt ja durchaus richtig gute Fantasy-Settings: Midnight, Agone, Scarred Lands, Dark Sun, Warlords of the Accordlands…
GP: Dass diese Dinge existieren, stimmt natürlich. Aber ich finde es eben eigentümlich, dass sie es nicht in den Mainstream schaffen und vom Publikum kaum aufgenommen werden. Dadurch gibt es einen Dämpfer in der Produktion. Wenn ich nicht gratis arbeiten will, muss sich das Produkt in irgendeiner Form verkaufen. Als Verlag mache ich da besser mehr von dem, was schon funktioniert. Und weil die Branche so extrem klein ist, hat man auch wenig Spielraum für Experimente.
Ich will jetzt nicht pauschalisieren, aber ich habe den Eindruck, dass ein großer Teil der Rollenspielnerds sowieso eher das klassische Ding wollen. Experimentelles ist komischerweise nicht sehr beliebt.
Ich bin ja versehentlich auch auf dasselbe wie Opus Anima gekommen und fand es extrem hübsch. Da waren sehr viele Ideen dabei, die ich gerne gehabt hätte und die Cross-Promotion mit dem „Kupferherz“-Comic und Opus Anima Investigation hat mir auch sehr gefallen.
Aber da spürst Du echt das Herzblut. Keine Ahnung, wie sich das verkauft hat.
DP: Naja klar Sperriges gegen leichter zu Konsumierendes hat ja das ewige ungleiche Gerangel.
Ich mag Sperriges, aber ich bin mir auch bewusst, dass ich abseits des Mainstream agiere. Wirtschaftlich sinnvoll ist Mainstream werteschaffend, aber sinnvoll eben das Sperrige.