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Are you out there, Eddie?

Dieser Artikel erschien zuerst in Nighttrain: Nachtschatten [-> Shop], NT 2019

Auf der Suche nach einem von Thomas Ligottis maßgeblichen Übersetzern für den deutschsprachigen Raum – Eddie M. Angerhuber, alias Monika A. – begegne ich Schattenzeichnungen ihres Namens an Litfaßsäulen, vom Staub vieler Jahre angegraut, von saurem Regen und schwarzem Schnee erodierten Graffiti, in altersfleckiges Leinen gebundenen Lettern, verblassten Tattoos auf faltiger Haut und aus dem leeren Raum sprechen mich kratzige Stimmen an.

Eddie, so heißt es in Uwe Voehls Vorwort zu Angerhubers letzter Einzelpublikation eigener Erzählungen „Die darbenden Schatten“ (Atlantis, 2011), sei eine Maschine. Genauer steht da, Eddie sei ein Auswuchs derselben Maschine, die auch Thomas Ligotti, Edgar Allen Poe und andere hervorgebracht hat. Eddie sei längst wieder in das mechanische Innere dieser Maschine einverleibt worden und für Geisterbeschwörer wie mich unerreichbar.

Ich kehre an den Ursprung des Mythos zurück: Ligottis erste Veröffentlichung in Deutschland, „Die Sekte des Idioten“ (Dumont 1992), hat sich wie alle Veröffentlichungen Ligottis hierzulande schlecht verkauft, doch wohl etwas ausgelöst, hat eine Tür geöffnet, durch die Ligottis Geist noch immer in unseren Sprachraum dringt.

Hat Angerhuber Ligotti damals durch diese Ausgabe kennengelernt, oder doch ein Original besessen?

Aus dem Off dringt Uwe Voehls Stimme an mein Ohr:

UV: Wir haben das Buch in Necropolitan rezensiert, da war es ein Buch unter anderen. Damals wussten wir noch nicht, dass Ligotti solch eine Welle auslösen würde – zumindest unter den damaligen Hobbyautoren. Hobbyautor klingt vielleicht etwas despektierlich, aber die besten der damaligen Leute, die in den Fanzines veröffentlicht haben, konnten später auch professionell veröffentlichen oder sind heute Profis. Plötzlich klangen viele Storys von Michael Siefener, Malte S. Sembten und leider auch mir ein wenig nach Ligotti. Seit den 80er-Jahren war es hauptsächlich Stephen King, dem man nacheiferte (man lese nur die Fanzines jener Zeit), und dann kam halt aus dem Nichts heraus Ligotti.

Monika Angerhuber hat danach die meisten Ligotti-Werke übersetzt, aber man muss auch einschränken, dass es nach DuMont nur noch Amateur- oder Kleinverlage waren, die sich seinem Werk annahmen, die letzte Festa-Veröffentlichung, „Grimscribe“ (2017) mal ausgenommen, denn Festa ist ja inzwischen enorm gewachsen, und die Bücher sind überall erhältlich.

Ich hatte immer den Eindruck, dass Eddie die Übersetzungen in erster Linie für sich macht, dass sie immer tiefer in das Ligotti-Universum eintauchte, eigene Geschichten schrieb, die zum Teil nicht von denen des Meisters zu unterscheiden waren, eine Website ihm zu Ehren betrieb, auch andere Autoren, die in des Meisters Sinne schrieben, übersetzte und hier in Deutschland unter den Horrorlesern bekanntmachte. „Bekanntmachen“ ist dabei relativ – beschränkt auf die kleine Horrorszene und wenige Kenner außerhalb. Das spielte sich alles halt in der Fanzine- und später Kleinverlagsszene ab.

Eddies Rolle habe ich eher als etwas Nischenhaftes angesehen. Sie war halt die Ligotti-Bewunderin, Übersetzerin und Autorin. Jeder Autor hatte halt seine Nische: Michael Siefener mit seinen Lovecraft-Geschichten, andere, die sich von Stephen King inspirieren ließen.

Ligotti war und ist eben nicht massentauglich, noch nicht einmal innerhalb der Horror-Szene, dazu ist er zu speziell.

Ich denke an schwarze Vögel, daran, wie mir einer von ihnen, in seinem schlecht auf den Schultern sitzenden Federgewand, wie ein Prophet erschien, im Schnabel ein altes Blatt Zeitung wie die Fahne seines wahren Glaubens schwenkend und vor sich zwei, die ihn wie Anhänger seiner Offenbarung anschauten. Diese Vögel fressen, was sie aufgetischt bekommen, auch wenn sie sich pausenlos krächzend über die vorgesetzte Mahlzeit beschweren.

Die menschenleere Stadt ist voller schwarzer Vögel. Jeder von ihnen erscheint mir wie eine mehr oder weniger gelungene Nachahmung seiner selbst.

Die Horrorliteraturszene der 90er Jahre, die Fanzine- und spätere Kleinverlagsszene, darüber schrieb mir Jörg Kleudgen vor einer Weile in einem anderen Zusammenhang von der Tradition „einer dunklen Phantastik, die sich in den 1990ern in der deutschen Fanszene bzw. aus dieser heraus entwickelt hat. Im Rückblick ist das für viele jetzt ein „Goldenes Zeitalter“, als Autoren wie Siefener, Korb, Voehl, Bachmann, Schulz-Sembten und Angerhuber ihre ersten Veröffentlichungen hatten. Ich habe diese Zeit auch als sehr inspirierend erlebt und bin darin „groß geworden“.“

Kleudgen selbst hatte in den 90ern in der ersten Inkarnation seines Kleinverlags Goblin Press einen Band mit Geschichten von Angerhuber veröffentlicht: „In Asmodis Haus – romantische Spukgeschichten“ (1997).

Die Selfpublisherszene der 1990er

Auch Kleudgens Stimme schält sich nun aus dem Rauschen des Äthers. Als Veteran des Selfpuplishings ist er genau der Richtige, um die Szene der 90er und die Veränderungen seither an seinem eigenen Beispiel zu beschreiben. Ich drehe am Knopf des altertümlichen, fast schon vorzeitlichen Radioempfängers und stelle ihn so gut es geht auf die Kleudgen-Frequenz ein.

JK: Ehrlich gesagt erinnere ich mich kaum noch an den Austausch mit Eddie M. Angerhuber, der wohl ziemlich auf „In Asmodis Haus“ konzentriert war. Da man ja noch Briefe und keine E-Mails schrieb, dauerte das alles immer etwas länger. Ich kann mich auch an kein Telefonat mit ihr erinnern.

Unser Kontakt brach dann ab, aber ich glaube, wir hatten später noch einmal kurz miteinander zu tun. Ihre Entscheidung, mit dem Schreiben aufzuhören – war es wirklich so, dass sie „aufhörte“ zu schreiben, oder war sie nur vom Verlagsgeschäft enttäuscht und schrieb fortan nur noch für sich? – habe ich nie verstanden. Das liegt wohl daran, dass ich selber in erster Linie immer nur für mich selbst geschrieben habe. Selbst bei Auftragsarbeiten ist da immer ein persönlicher Aspekt vorhanden, ohne den die Texte auch nicht gut wären. Auch wenn ich nichts mehr veröffentlichen würde – und vielleicht ist das ja eines Tages so – könnte ich doch nicht aufhören zu schreiben. Denn in irgendeiner Form brauche ich diese Möglichkeit mich auszudrücken und Dinge zu verarbeiten.

Kleudgens Stimme droht schon, in Hall und Widerklang unterzugehen, da nehme ich zur Beschwörung seines Geists eines seiner Bücher in die Hand und spreche, als wäre es ein Teil seiner selbst, der mir nicht durch die Finger gleiten und im Äther verrinnen kann: „Wie sehr hast du die damalige Szene als Szene empfunden und wie wichtig oder prägend war das Umfeld für dich als Schriftsteller? Welcher „Geist schwebte da in der Luft“ und wie ist das heute? Siehst du wesentliche Unterschiede zum heutigen Selfpublishing?

JK: Ich bin mir nicht sicher, ob man von „der einen“ Selfpublisherszene der 1990er sprechen kann. Ich habe wohl nur einen kleinen Ausschnitt daraus erlebt. Alles in allem kann man aber schon sagen, dass es einen fruchtbaren Nährboden gab, auf dem die ersten zarten Pflänzchen gediehen. Es gab zahlreiche einzelne Autoren, die ihre Texte als Privatdruck in kleiner Auflage herausbrachten. Auf manche stoße ich erst heute. Es gab Fanzines und Magazine, deren Namen ich weitgehend vergessen habe, und die ich leider aufgrund einiger Umzüge nicht mehr besitze. Es gab den Verlag Hubert Katzmarz, der 1993 mit Michael Siefeners „Bildwelten“ ein richtig professionell gemachtes Buch herausbrachte, wovon ich selber nur träumen konnte.

Ich habe ja die Goblin-Press gar nicht selber gegründet, sondern war lediglich als Autor in der vom Ulmer Zeichner Bernd Jans als Heft veröffentlichten Anthologie „R’lyeh“ vertreten, der ein Set cthulhuider Tarotkarten(!) beilag. Ich bedauerte damals sehr, dass er nach dieser einen Veröffentlichung keine weiteren Ambitionen hatte, war aber andererseits froh, auf „R‘lyeh“ aufbauend eine Plattform für mich selbst und andere Autoren zu schaffen. Denn wenn sich keine Möglichkeit abzeichnet, dass man mit seinen Texten irgendjemanden erreicht, dann fragt man sich vielleicht doch irgendwann, welchen Sinn das Ganze hat. Man muss ja bedenken, dass deutsche Phantastikautoren in den 1980ern bei größeren Verlagen allgemein noch nicht so gefragt waren. Wenn ich mich recht erinnere, änderte sich das mit Wolfgang Hohlbeins Enwor-Zyklus.

Aber selbst Michael Siefener brauchte eine ganze Weile, bis ihm mit „Nonnen“ (Heyne, 2000) seine erste Veröffentlichung vor breiterem Publikum gelang. Uwe Voehl war da ja schon länger im Heftromanbereich („Der Henker“) erfolgreich gewesen, während Michael Knoke, der später in der Goblin-Press veröffentlichte, mit „Im Zeichen des Wolfes“ (Dämonenland/Bastei) eher einen Glückstreffer landete. Andere vielversprechende Talente verschwanden von der Bildfläche wie Frank Eschenbach, oder sie etablierten sich wie Tobias Bachmann oder Markus K. Korb in der Kleinverlagsszene.

Damals war es wie heute, aber vielleicht noch ein bisschen mehr so, dass man jemanden brauchte, der Geld in die Hand nahm, um eine Veröffentlichung zu finanzieren. Ich habe zu dieser Zeit studiert und konnte das nächste Buch immer erst dann herausbringen, wenn ich von den vorherigen eine entsprechende Stückzahl verkauft hatte. Ein Buch in kleiner Auflage drucken zu lassen, ist heute dank book-on-demand, wesentlich einfacher und kostengünstiger geworden. Leider fehlt oftmals eine Instanz, die einem Autor sagt: „Das, was Du schreibst, ist interessant, aber bitte überarbeite den Text noch mal, oder lass jemand anderes drüberlesen, bevor Du ihn veröffentlichst!“

In den USA war der Horror-Boom ein Phänomen der 70er und 80er. Würdest du die 90er in Deutschland als ein Epiphänomen bezeichnen?

JK: Sicherlich hatte [der Horror-Boom in den USA in den 1970er und -80er Jahren] insofern Auswirkungen, als „man“ zwangsläufig mit Horrorliteratur und vor allem Filmen konfrontiert wurde und daher eine gewisse „Grundbildung“ vorhanden war. In den 1990ern bildete sich aber etwas ganz Eigenes. Es ging nicht mehr unbedingt darum, die großen Vorbilder zu kopieren. Die Geschichten der oben genannten Nachwuchsautoren gewannen zunehmend Lokalkolorit. Michael Siefener siedelte lovecraftsches Grauen nicht mehr in Arkham oder Dunwich an, sondern in Trier und Daun in der Eifel. Man kann eben das, was man selber mit eigenen Augen gesehen hat, am besten beschreiben.

Welche Impulse haben Dich bewogen, dass Fanzine- und Minipress-Geschäft wieder aufzunehmen?

JK: Der Grund für die Einstellung der Goblin-Press nach der Jahrtausendwende, war ja, dass ich mich mit den zwar in kleinen Auflagen aber doch gedruckten Büchern „Hagazussa“ und „HalligSpuk“ in eine gewisse Abhängigkeit begeben hatte. Ich konnte diese Bücher nicht selber setzen, und ich konnte nie sicher sein, dass das Ergebnis, das aus der Druckerei kam, meinen Vorstellungen entsprechen würde. Im Grunde genommen verlor die Goblin-Press durch ihre Professionalisierung das, was sie bis dahin ausgemacht hatte, nämlich ihren Charme. Professionelle Bücher veröffentlichte ich ja inzwischen im Blitz-Verlag, für den ich zu dieser Zeit zusammen mit Alisha Bionda die Serie „Wolfgang Hohlbeins Schattenchronik“ schrieb, mit der ich mehr als ausgelastet war.

2010 ergaben sich dann berufliche Veränderungen, und gleichzeitig entdeckte ich bei einem Aufenthalt in Ulm in Antiquariaten rund um das Münster wunderschöne Bücher. Bücher, wie sie heute kaum noch hergestellt werden. Und plötzlich hatte ich wieder eine Vision. Ich wollte die Kontrolle zurückerlangen, von der Auswahl der Texte über Satz und Illustration bis hin zum Druck und der Bindung. So entstand als erster Band „Stella Maris“, und ich war so stolz darauf, dass ich es die ersten Tage stets bei mir trug, um darin zu blättern. Ich muss zugeben, dass die Arbeitsweise, die sich da ergeben hat, alles andere als effektiv ist. Sie ermöglicht auch nur kleine Auflagen um die fünfzig Exemplare. Aber diese Bücher sind etwas Besonderes für mich.

Zum Cthulhu Libria Neo kam ich durch Zufall. Ich hatte schon in den 1980ern Rollenspielfanzines herausgegeben, und ich glaube, es steckt mir einfach im Blut, solche Dinge zu machen. So habe ich zuerst nur Artikel für das von Eric Hantsch, Axel Weiss und Johann Peterka herausgegebene Cthulhu Libria Äon geschrieben und als diese Redaktion zerfiel, mehr Verantwortung übernommen. Seitdem Eric Hantsch krankheitsbedingt ausgefallen ist, habe ich die Herausgabe kommissarisch übernommen. Es ist eine Herausforderung, jedes Mal, aber ich konnte nicht einfach so hinnehmen, dass das Magazin eingestellt wurde.

Monika „Eddie“ Angerhuber

Nachdem ein letztes Kratzen Jörg Kleudgens Stimme zu etwas Fremdem, nicht länger Menschlichem verzerrt hat, besinne ich mich auf mein ursprüngliches Anliegen, etwas über Eddie zu erfahren. Die Reihe ihrer Publikationen eigener Erzählungen führt mich wie entlang einer Gallerie grotesker, aber doch seltsam schöner Gemälde. In der Edition Metzengerstein erschien 1998 ihre Sammlung „Die verborgene Kammer – seltsame Visionen“ und „Das Anankastische Syndrom – Erzählungen“, wurde 2002 in der Edition Medusenblut herausgegeben.

Edition Metzengerstein ist eine inzwischen eingestellte Veröffentlichungsreihe im Verlag Festa, die mit Publikationen wie der Sammlung von Geschichten Whiteheads oder Ligottis einen festen Platz in der bis heute winzigen Landschaft deutschsprachiger Übersetzungen aus dem Bereich der Weird Fiction einnimmt. Und Edition Medusenblut – dieser Name führt mich zu Boris Koch, einer weiteren Stimme, die sich aus dem Äther herausschält, um von Eddie Zeugnis abzulegen:

BK: Die Lektüre vieler ihrer Geschichten ist für mich jetzt etwa zwanzig Jahre her, da muss man mit einer allgemeinen Einschätzung vorsichtig sein, doch ich verbinde Eddies Geschichten immer mit einer ganz speziellen Atmosphäre, die sich von Film und Musik ebenso beeinflusst zu sein scheint wie von Literatur. Oft haben ihre Texte etwas Surreales oder Traumhaftes, dabei sind sie geprägt von der Liebe zur Sprache. Sie benutzte Worte nicht nur als Mittel zum Zweck, sondern liebt das Medium spürbar. Außenseiter, Verstoßene, Einzelgänger und ähnliche Figuren sind weit häufiger die handelnden Figuren als Menschen aus der Mitte der Gesellschaft. Sie hat eine ganz spezielle Ästhetik, auch in der Beschreibung von Details.

Dass sie ihren ganz eigenen Stil hatte, eine eigene Stimme, hat ihr einen besonderen Platz unter den Szeneautoren eingeräumt. Dazu kamen dann bald ihre Ligotti-Übersetzungen und auch Kontakte zur amerikanischen und britischen Horrorszene. Dadurch konnten wir beispielsweise u.a. drei Übersetzungen in die Anthologie „Allem Fleisch ein Gräuel“ [2005] mit aufnehmen, die Eddie und ich zusammen herausgegeben haben. So weit ich weiß, hat sie hier noch viel mehr Vermittlungsarbeit für andere Verlage geleistet, aber hier kann ich – nach all den Jahren – leider nicht mit konkreten Namen dienen.

Allem Fleisch ein Gräuel, ich greife dieses Buch aus meinem Schauerregal, wiederhole noch einmal den kleinen Zauber, der schon Jörg Kleudgen zum Verweilen bewegt hat, und mit Erfolg, denn Koch spricht weiter:

BK: Dieses „goldene Zeitalter“ habe ich ähnlich golden wie Jörg empfunden. Auch seine Goblin Press oder Hubert Katzmarz‘ Verlag und das phantastische Magazin Daedalos waren wichtig, ebenso eine Handvoll engagierter Fanzines unterschiedlicher Ausrichtung. Dabei habe ich es immer als Stärke empfunden, dass aktive Mitglieder der Szene immer auch Kontakte in andere Szenen hatten und diese nutzten, Jörg etwa in die Gothic-Szene, wo er in Musikmagazinen über Literatur schrieb, Christian von Aster, der auf dem WGT in Leipzig Lesungen etablierte, Bernd Frenz, der auch Comics textete, Robsie Richter in die Social-Beat-Szene, Michael Marrak und andere zur SF, ich selbst zur Rollenspielszene, usw.

Die Szene war damals sehr lebendig, es gab eine ganze Reihe Aktiver, es kamen immer auch neue Leute hinzu, aber dennoch merkte man natürlich, wenn ein wichtiger Übersetzer oder Herausgeber aussteigt – aus welchen Gründen auch immer. Als Hubert Katzmarz 2003 starb, gab es niemanden, der ein vergleichbares Magazin wie Daedalos herausgab. Und auch jemand wie Eddie, mit ihrer ganz eigenen Stimme, ihrem Sprachgefühl und persönlichen Kontakten, hinterließ bei ihrem „Ausstieg“ eine Lücke. So etwas ist vielleicht nicht sofort zu spüren, aber irgendwann merkt man, dass etwas fehlt.

BK: Angefangen habe ich ja 1996 mit Heften; Heft 1 waren Storys von Frank Festa, Nummer 2 dann Eddie Angerhuber. Beide in 100er Auflage. Später wurden aus den Heften dann Bücher, und auch die Auflage wuchs ein wenig. Es gab Abonnenten, Lesungen, Cons, Bestellungen per Brief, manchmal auch aus dem Buchhandel. Wir haben mit Besprechungen und Kleinanzeigen in Fanzines und Magazinen gearbeitet, der Kontakt zu den Kollegen war oft freundlich und kollegial, manchmal richtig freundschaftlich.

Doch während Frank Festa schnell wusste, dass er lieber verlegen wollte als schreiben, sah ich mich immer als Autor, und so habe ich den Verlag nie forciert. Inzwischen erscheint nur noch alle paar Jahre ein Buch, und es gibt eine ganze Reihe neuer Verlage, die – und da sind wir wieder beim Thema von vorhin – die Lücke recht gut geschlossen haben …

Da ist also diese Seite von Eddie, die als Übersetzerin und Herausgeberin. „In einer fremden Stadt, in einem fremden Land“ erschien 2001 bei Festa und im Blitz-Verlag folgte 2003 „Das Alptraum-Netzwerk“, und auch wenn sich in die Reihe der Übersetzer Ligottis auch andere Namen einreihen (in der Sammlung „Teatro Grottesco und andere Erzählungen“ (Edition Metzengerstein/Festa, 1997) etwa sind Übersetzungen von Malte S. Sembten und Michael Siefener enthalten), ist Angerhuber doch der Name der sich am stärksten mit dem Ligottis verbindet. Unter www.angwa.de/Ligotti findet sich auch heute noch ihre der Person und dem Werk Ligottis gewidmete Website mit Erzählungen und Versen und einer detaillierten Bibliographie bis ins Jahr 2006.

Diese Website ist heute ein stehengebliebenes Uhrwerk. Die Zeit scheint dort eingefroren zu sein und um sie herum sind Raum und Zeit korkziehartig verdreht.

Noch einmal suche ich auf entlegenen Frequenzen nach einer Stimme und aus Übersee meldet sich Matt Cardin zu Wort:

MC: In the early 2000s, I came to know Monika Angerhuber through our mutual involvement in the online community surrounding Thomas Ligotti. I rapidly discovered that she was not only a charming correspondent and a champion of Ligotti and other masters of weird fiction to her native German community but a skilled writer of weird fiction in her own right. I’ll never forget reading, for example, the English translation of her story „Rinaldini’s Hands“ and finding it deeply satisfying in the way that only the best type of fiction in this vein is satisfying. Then our relationship shifted to that of author and editor when she published a German translation of my story „An Abhorrence to All Flesh“ in the anthology Allem Fleisch ein Greuel: Erzählungen, which she co-edited with Boris Koch. I suspected even then that with her various efforts she was making lasting contributions to the literature of the weird in Germany, and the fact that she is still being recognized all these years later is a gratifying confirmation of what I knew to be true.

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Dieser Artikel erschien zuerst in Nighttrain: Nachtschatten, 2019

„Eddie“ M(onika) Angerhuber wurde 1965 in München geboren und lebt seit 1981 in Berlin.
Sie veröffentlichte soweit über neunzig Erzählungen. Ihre Texte und
Koproduktionen mit Thomas Wagner und anderen Autoren wurden in deutschen und englischen Literaturmagazinen und Anthologien abgedruckt.
Erschienen sind sieben Kollektionen ihrer Erzählungen, eine Novelle und ein Roman sowie zwei Hörbuch-CDs. Außerdem betätigte sie sich aus Liebhaberei als deutsche Übersetzerin diverser angloamerikanischer Autoren wie Ramsey Campbell, Thomas Ligotti, Robert Bloch und Terry Lamsley.
Ihre englischsprachige Erzählsammlung „Nocturnal Products“ (Rainfall Books, 2002) wurde von ihr selbst ins Englische übertragen. Ferner
betrieb sie die autorisierte deutsche Website Thomas Ligottis. www.angwa.de/Ligotti

Jörg Kleudgen, geboren 1968, ist ein deutscher Autor, Verleger und Musiker. Er betreibt den Verlag Goblin Press. Außerdem ist er Mitglied der Band The House of Usher.

Uwe Voehl, geboren 1959, begann schon während der Schulzeit, Anthologien herauszugeben. Nach dem Abitur studierte er BWL und Jura und arbeitete später als Werbetexter für Agenturen und Versandhäuser. Voehl gilt als einer der besten zeitgenössischen Phantastik- und Krimi-Autoren in Deutschland.

Boris Koch, geboren 1973, wuchs auf dem Land im bayrischen Schwaben auf. Er studierte Alte Geschichte und Neuere Deutsche Literatur mit wechselnden Nebenfächern in München und brach beide Studiengänge ab. Im Jahr 2000 zog er nach Berlin, wo er u.a. mehrere Jahre in der Otherland Buchhandlung jobbte und die phantastische Lesebühne Das StirnhirnhinterZimmer mitbegründete. Seit dem Frühjahr 2015 lebt er als freier Autor in Leipzig und schreibt für Jugendliche und Erwachsene, Phantastisches und Realistisches, Längeres und Kürzeres. Gelegentlich textet er auch Comicgeschichten. Koch ist zudem das Gehirn des kleinen Phantastikverlags Medusenblut, der sich vorwiegend auf die dunklen Spielarten des Genres spezialisiert hat, und berichtet im Magazin Mephisto regelmäßig vom vergnüglichen Zusammenleben mit seinem Hauszombie Ewald.

Matt Cardin ist Autor der Bücher „Divinations of the Deep“, „Dark Awakenings, und „To Rouse Leviathan“, deren Fokus auf der Kreuzung zwischen Religion und übernatürlichem Horror liegt. Er ist auch Herausgeber der akademischen Enzyklopädien „Mummies around the World“, „Ghosts, Spirits, and Psychics: The Paranormal from Alchemy to Zombies“, und „Horror Literature through History“. Im Jahr 2015 wurde er für die Herausgabe von Born to Fear: Interviews with Thomas Ligotti für den World Fantasy Award nominiert. Er unterrichtet Englisch und komparative Religionswissenschaften am Ranger College in Stephenville, Texas. Seit 2018 ist er Mitherausgeber des Magazins „Vastarien – A Literary Journal“, einem Periodikum, dass sich der kritischen und kreativen Auseinandersetzung mit dem Werk Thomas Ligottis widmet.

www.mattcardin.com/