Zum Inhalt springen

Next Weird: Werkstattbericht

Nighttrain: Next Weird präsentiert sechs Erzählungen zeitgenössischer Meister der Weird Fiction in Übersetzung und wird am 1. Oktober im Print und als Ebook erscheinen.

 

Herausgeber Tobias Reckermann: Nach bald einem Jahr Arbeit an einem Projekt wie diesem hat man bereits so viel darüber gesprochen, mit so vielen Personen, in so vielen Konstellationen, aus den verschiedensten Gründen – da sollte es einem leicht von der Zunge gehen, zu sagen, worum es überhaupt geht. Doch an diesem P unkt ist das Projekt längst zu einem vielseitigen Komplex geworden, der sich nicht so ganz leicht auf einen Punkt bringen lässt.

„Nighttrain: Next Weird“ widmet sich der zeitgenössischen Weird Fiction. Zeitgenössisch im doppelten Sinn: Alle in der Anthologie vertretenen Erzählungen stammen aus diesem Jahrtausend und sie alle gehen über den nun rund hundertjährigen Diskurs zur Weird Fiction der spätviktorianischen und der Pulp-Ära, sowie der Post-Lovecraft-Ära hinaus. Thematisch und stilistisch etwa sind die Beiträge der Ausgabe wenig an Lovecraft orientiert und schöpfen dafür aus gesamten literarischen Tradition des Weird, erschaffen darüber hinaus einen ganz eigenen und aktuellen Weird-Kosmos.

Als langjähriger Afficionado des Weird und Herausgeber eines eigenen Fantastikmagazins hegte ich lange den Wunsch, ein Projekt wie dieses ins Leben zu rufen, doch für dessen Verwirklichung bedurfte es einiger glücklicher Umstände. Als erstes sei hier die Bereitschaft eines der Aufgabe gewachsenen Übersetzers genannt, sich pro bono an dem Projekt zu beteiligen. Unser Netzwerk an Autoren, Illustratoren usw. im fantastischen Bereich bescherte uns die Mitarbeit Christian Veit Eschenfelders, der im Anschluss an meinen Part dieses kurzen Werkstattberichts selbst über seinen Anteil an Next Weird schreiben wird.

Initial für die Verwirklichung des Projekts war indes die Bereitschaft eines Autors, uns die Übersetzung und Veröffentlichung einer seiner Stories überhaupt anzuvertrauen. T.E. Grau tat dies mit seiner Zusage für die Erzählung The Screamer. Fünf weitere Autoren folgten: Richard Gavin, Timothy J. Jarvis, Christopher Slatsky und schließlich zwei bereits ikonische Protagonisten der Weird Renaissance: Scott Nicolay und Laird Barron.

Diese Autoren sind allesamt literarische Hochkaräter des Genres aus dem englischsprachigen Raum, von denen bisher nur einer, Laird Barron, mit Übersetzung ins Deutsche gebracht wurde. Die Beiträge für das Projekt sind post-New Weird, Erzählungen in der modernen Tradition von Thomas Ligotti über Kathe Koja bis Laird Barron, sind Weird Renaissance. Drei der sechs Erzählungen besitzen Novellenlänge, dazu kommen noch zwei Artikel zu den Themen Weird Fiction und Weird Renaissance, sowie ein eingehendes Vorwort von mir selbst, nebst einer Leseliste subjektiv ausgewählter Werke der zeitgenössischen Weird-Literatur.

Next Weird ist angelegt im US-amerikanischen Comic Format (17 x 26 cm) im Softcover mit von Erik Andara illustriertem Glossy-Cover, als Print on Demand über Createspace, wird also über Amazon verfügbar sein. Die Wahl des Formats und der Coverillustration versteht sich als Reminiszenz an die Pulp-Herkunft der Weird Fiction; angelehnt an den zweispaltigen Textsatz in Magazinen wie dem originalen Weird Tales der Dreißigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts werden die Stories in Next Weird in einer schmalen Spalte gesetzt, der Hintergrund der Spalten bleibt weiß, wohingegen der übrige Seitenhintergrund schwarz hinterlegt ist – wir haben es schließlich mit dunkler Literatur zu tun. Mit der Wahl eines Print on Demand-Verfahrens für die Herstellung, schließen wir uns auch der namengebenden Pulp-Tradition an, nach der Weird Fiction auf billigem Papier und in fragwürdiger Bindung an den Leser gebracht wurde. Die Qualität des Inhalts soll auch in Next Weird die Qualität des Print-Objekts überragen.

Unser Imprint Nighttrain, von Erik Andara und mir selbst geschaffen, erstens als Blog für die Auseinandersetzung mit allen Belangen der Fantastik und zweitens im Druck für die Spezialisierung auf dunkle Fantastik, bietet mir als Herausgeber des Next Weird-Projekts ein passendes Zuhause. Next Weird soll – und wird – sich abheben von bisherigen Projekten wie dem IF Magazin unter dem Label Whitetrain. Next Weird ist Next Level für uns. Das Wagnis, mit quasi Nullkapital und dafür vollem Enthusiasmus literarische Fantastik an den Leser zu bringen, geht mit Next Weird in eine neue Phase. Next Weird selbst versteht sich dabei als vorläufiger Höhepunkt eines vollen Schaffensjahrzehnts unseres Kollektivs und als hoffentlich nachhaltiger Beitrag für die Präsenz seines Genres im deutschsprachigen Raum.

Als Herausgeber kann ich sagen: Next Weird ist State of the Art dessen, was sowohl zeitgenössische Weird Fiction, als auch Nighttrain/Whitetrain zu bieten haben.

 

Übersetzer Christian Veit Eschenfelder: Wenn es um Übersetzungen geht, bin ich Verfechter der konnotativen Äquivalenz nach Koller, bei der der emotionale Wert für den Leser der Übersetzung im Vordergrund steht, und nicht etwa jedes einzelne Wort, das der Autor des Originals verwendet hat. In erster Linie vertrete ich diese Ansicht, weil Emotionen beim Lesen meiner Meinung nach wichtiger sind, als die semantischen Bedeutungen der Worte. Worte sind nun einmal nur Worte, die normalerweise nicht die Fähigkeit besitzen, im Verstand der Leser und Leserinnen für Furore zu sorgen, es sei denn, es folgen ihnen die ‚richtigen‘ Worte und nicht die, die im Wörterbuch an erster Stelle stehen.
Für das eigentliche Übersetzen birgt das den Vorteil, dass ich eine verhältnismäßige Freiheit bei dem genieße, was ich mache, denn ich bin nicht mehr an feste Ausdrücke und Formulierungen gebunden, wenn diese den Rhythmus des Texts im Deutschen aus dem Gleichgewicht bringen würden. Rhythmus ist für mich das, worauf es ankommt. Wenn man ihn dem Original erst einmal erfolgreich entnommen hat, dann neigen die Übersetzungen dazu, wie von selbst zu bestimmen, welche Art des Wortes, des Nebensatzes, der Partizipkonstruktion usw. es als nächstes zu verwenden gilt, um dem Original im Deutschen treu zu bleiben, aber dem Leser dennoch das zu bieten, was das Original dem Leser des Originals bietet.
Neben der Gefahr, dem Autor einen Wortschatz zu verleihen, über den er nicht verfügt, kann die ganze Sache natürlich auch anderweitig nach hinten losgehen, wenn man sich im Herzschlag der Geschichte verschätzt und ihrer Übersetzung einen Singsang verleiht, der vielleicht zum Teil angemessen wäre, manche Veränderungen der Sprache, die im Original verwendet wurden, jedoch nicht angemessen zum Ausdruck bringen kann. Sowas kann Probleme machen. Denn Rhythmusschwankungen, die im Originalen vielleicht gut zusammenpassen mögen, können im Deutschen seltsam oder unelegant oder unangebracht wirken und müssen angeglichen werden. Da es jedoch in den meisten Texten in Sachen Veränderungen der Sprache, des Flows, des Takts, nicht von 0 auf 100 geht, sind diese Angleichungen meist möglich, ohne dabei als Übersetzer sein Gesicht und ohne den Faden zu verlieren.

Ich hatte noch nie etwas mit Weird Tales am Hut gehabt. Klar wusste ich auch schon vor Next Weird, wer Lovecraft war, und auch Horror war mir alles andere als fremd, aber dass es diesen Ableger gibt, mit all seinen Schönheiten und schönen Hässlichkeiten, davon wusste ich nichts. (Lieben Dank an Tobi an dieser Stelle noch mal).
Nun, worin unterscheiden sich Weird Tales auf sprachlicher Ebene von Texten, über die man regelmäßiger stolpert? Eigentlich in nicht vielem. Größtenteils. Es sind Horrorgeschichten. Meist durchlebt von normalen Menschen, die hier und da mal ins Weirde abdriften, mit ihren Ansichten und Taten, aber das hat eher etwas mit der Psychologie zu tun und nichts mit der Sprache, und ist deswegen auch irrelevant in Sachen Übersetzungsbesonderheiten. Ich schrieb Größtenteils, weil es einen kleinen Teil in den Weird Tales gibt, der sich sprachlich von der ‚normalen‘ Horrorgeschichte unterscheidet. „[…] ein Verfall in die Hoffnungslosigkeit oder Ekstase erwartete die Protagonisten der meisten Weird Tales“, sagt Jarvis über diesen Teil in seiner Perichorese.
Und obwohl sich das recht beiläufig anhört, birgt genau dies die größten Schwierigkeiten. Es wird die Realität innerhalb der Geschichte, der man ihren Rhythmus entnommen hat, derart verzerrt, dass man auf sprachlicher Ebene kaum mehr Rückschlüsse zum vorhergehenden Teil schließen kann. In einer Geschichte sollte stets jeder Satz wie ein Puzzlestück mit dem nächsten verbunden sein und (beinahe) nahtlos ineinandergreifen. Manchmal kann man diese Verbindung nicht gleich erkennen, den Bezug kurz aus den Augen verlieren, aber im Grunde genommen besteht eine Geschichte aus Wörtern, die Sätze bilden, die Absätze bilden, die Kapitel bilden, die eine Geschichte bilden. Und keiner dieser Teile ist wichtiger oder unwichtiger als der andere.
In (einigen) Weird Tales wird dieser Bruch jedoch vollkommen absichtlich durchgeführt und bildet einen integralen Teil der Geschichte. Es ist meist der Höhepunkt, der den Protagonisten bis zu einem bestimmten Ereignis führt, ab dem dann alles bergab geht. In Ted E. Graus „The Screamer“, in der Boyd auf der Suche nach einem mysteriösen Schrei ist, wird dieser Teil eingeläutet, wenn er – Boyd – findet, wonach er gesucht hat: „This was The Screamer. This was what screamed. Boyd’s mortal shell disintegrated.”
Und genau wie sich Boyds sterbliche Hülle auflöste, löst sich an dieser Stelle auch die Sprache auf, lässt kaum mehr darauf schließen, wie das Puzzlestück aussehen soll, das dem nächsten Satz folgen soll. Wie eine Singularität, in der die Naturgesetzte nicht länger gelten, gilt bei Szenen der absoluten Ekstase keine Syntax mehr, der Satzbau kann verzerrt werden und es wird chaotisch mit Worten um sich geworfen, um das ganze Ausmaß des Verfalls zu unterstreichen.
Das Problem für mich als Übersetzer besteht darin, den Verfall innerhalb der Realität der jeweiligen Geschichte zu betrachten und ihn nicht auf die eigentliche Realität, meine/unsere Realität, zu beziehen. Denn die Realität des Originals ist es, die mir die Emotionen liefert, die ich für meine Übersetzung brauche. Nicht die Worte, die in ihr verwendet werden, und auch nicht die, die verwendet werden würden, wenn die Geschichte in der eigentlichen Realität spielen würde. Aber welche Worte soll ich verwenden, wenn sie in einer Realität ihre Bedeutung verlieren, die nicht meine eigene ist, auf die ich keinen weiteren Zugriff habe? In was ‚verwandeln‘ sie sich? Nun, ich habe mich meist einfach strikt an das gehalten, was mir das Wörterbuch gesagt hat. Denn an diesen Stellen haben die Worte die Bedeutung, die man ihnen als Leser gibt, jede und keine, selbst wenn diese weit entfernt von ihrer eigentlichen Bedeutung sind (innerhalb und außerhalb der Geschichte), und was würde ich mir herausnehmen, wenn ich einem Autor meine Worte in den Mund legen würde?

 

Coverartist Erik R. Andara:

Die Erstellung des Covers war gar nicht so einfach, weil es eigentlich schon ein geeignetes Cover gab, bevor ich kurzfristig involviert wurde. Demnach hatte Tobias als Herausgeber nicht nur eine entsprechende Vorstellung von dem, was er haben wollte, sondern diese Vorstellung sogar bereits in der Hand. Aus diversen Gründen, auf die ich jetzt nicht genauer eingehen will, kam es aber dazu, dass sich dieses Cover einer Veröffentlichung entzog. Eine überaus knifflige Angelegenheit, also was tun?

Nachdem ich illustratorisch schon ein paar Mal für den WhiteTrain-Verlag tätig war und dementsprechend wusste, dass Tobias mit meinen Arbeiten etwas anzufangen weiß – aber auch weil es mir eine große Ehre ist, zu diesem funkelnden Edelstein einer Veröffentlichung etwas beizutragen – machte ich mich erbötig, ein neues Cover zu zeichnen. Tobias ließ mir einen Textausschnitt zukommen, aus dem für mich schnell ersichtlich wurde, was er sich vorstellt (auch weil ich wusste, wie das erste Cover aussah). In der Textstelle ging es um die Begegnung mit einer Frau am Hausflur, in all ihrer seltsamen und außerirdischen Schönheit; zudem eine überaus düstere und bedrohliche Angelegenheit, was – wenn man das Genre, in dem wir uns hier bewegen, betrachtet – eigentlich sowieso eine Selbstverständlichkeit darstellt.

In mehreren Bleistiftskizzen haben wir uns an das herangetastet, was Tobias sich vorstellte. Dabei stellte die größte Herausforderung dar, diese ganz spezielle beklemmende Fremdheit wiederzugeben, welche die Seele der Weird Fiction ausmacht. Als ich mehrere Variationen des Themas skizziert hatte, erbat sich Tobias ein paar Tage Bedenkzeit, in denen er sich dann gemeinsam mit dem Team der Redaktion für das vorliegende Sujet entschieden hat. Als erst einmal klar war, wohin der Weg konkret führen würde, ging es an die Finalisierung.

Tusche und Farbgebung waren schnell erledigt. Wichtig war es, bei der Fertigstellung darauf zu achten, dass dem Gesichtsausdruck am Schluss diese überweltliche – beinahe schon weggetretene – Überheblichkeit innewohnt, die sich Tobias als Grundausstrahlung fürs Cover wünschte. Am Schluss hatte ich vielleicht sogar mehr Freude als er selbst damit, dass ich seinen hohen Ansprüchen gerecht werden konnte.

Zur restlichen Darstellung ist noch zu erwähnen, dass ich die Hände bewusst irritierend angelegt habe, in der Hoffnung, dass sie sich über den Hinterkopf in die Wahrnehmung schleichen; als Gefühl, dass etwas falsch ist am Bild, aber man nicht sofort draufkommt, was genau. Die Sigillen für den Hex [im finalen Cover zu sehen] habe ich ebenfalls selbst erstellt und versucht, die Seele und den Geist der Weird Fiction damit zu bannen. Auch mit dem Augenmerk darauf, dass diese Gattung der Literatur mit Vorsicht zu genießen ist; ihre Schönheit kann einen schnell einmal verschlingen und an sehr dunklen Orten festsetzen. Aber was wäre das Lesen schon ohne Abenteuer?